Ein Tummelplatz der Ausdrucksformen
In den kommenden Spielzeiten soll sich das Schauspielhaus Wien als Tummelplatz der Stadtgesellschaft weiterentwickeln, der vielfältigen Geschichten eine Bühne bietet. Mit unserem Interesse am Partikularen (also am Spezifischen, am Besonderen) wollen wir zeigen, dass uns Unterschiede mehr verbinden als trennen. Wir wollen ein politisches, empowerndes und differenziertes Theater der starken Ausdrucksformen sein, das sich lokal verortet und zugleich international kooperiert. Wir wollen die lernende Leitung einer lernenden Institution werden, die inklusiv, feministisch, antirassistisch und ökologisch nachhaltig denkt und handelt.
Theaterlabor
George Tabori nannte sein Theaterlabor, das von 1987 bis 1990 im Schauspielhaus Wien zu Hause war, „Der Kreis“. Ein Theaterlabor zu sein bedeutet: Viele verschiedene Versuche machen, permanent unwissend sein, künstlerisches Handeln hinterfragen und weiter entwickeln, scheinbar Festes verflüssigen, viele Perspektiven einbinden, einsehen, zuhören, hinschauen. Und, wie bei Tabori, Selbsterforschung. Theater hört niemals auf, ein poetischer Prozess zu sein. Die neue künstlerische Leitungsgruppe, bestehend aus Marie Bues, Martina Grohmann, Tobias Herzberg und Mazlum Nergiz, schreibt sich in diese einzigartige Tradition ein und führt sie fort. Ab der Saison 2023/24 leiten die vier Theatermacher:innen dieses Haus, das sich schon immer dem Experiment, dem Neuen, dem Unbekannten, dem Noch-Nicht-Erforschten zugewandt hat.
Lebendige Autor:innenschaft
Den Freiraum des Experiments wollen wir für Künstler:innen und für das Wiener Publikum offen halten. Es gilt, Räume einzurichten, die künstlerische Positionen gegenwärtiger – das heißt: lebendiger – Autor:innenschaft für die Bühne versammeln. Das Schauspielhaus Wien sucht die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Konflikten über die Verhandlung spezifischer Fragen, Phänomene, Geschichten und Situationen. Es stellt sich der Aufgabe, partikulare Geschichten auf die Bühne zu bringen.
Partikulare Geschichten
Was sind partikulare Geschichten? „Partikular“ bezeichnet den Umstand, dass etwas oder jemand nur zu einem Teil zu etwas gehört. Etwas Partikulares ist nichts Universelles. Und doch stecken in jedem Partikel Elemente des Ganzen, des Universums, wenn man nur genau zuhört und hinsieht. Der Fokus auf das Partikulare kann uns Hinweise darüber geben, inwiefern eine Biografie oder eine Erzählung auf einen größeren Zusammenhang verweist, inwiefern sie eine politische Angelegenheit ist. Und andersherum: Wie können wir von politischen und geschichtlichen Zusammenhängen als persönliche, höchst individuelle Angelegenheit erzählen? Für die britische Schriftstellerin Rachel Cusk liegt der Wert im partikularen Erzählen darin, dass dadurch „wahrnehmbare Details“ freigelegt werden, die davon zeugen, was die „Individualität“ von Menschen und Orten ausmacht.
Ankommen und Eröffnen
Auf das Partikulare bauen wir unser poetisches Programm für das Schauspielhaus. Dieses Prinzip nehmen wir zum Anlass, die Öffnung in der Institution zu verankern.