DIE VIELEN


Das Schauspielhaus engagiert sich für DIE VIELEN, das Aktionsbündnis für Vielfalt und Freiheit der Kunst. Über 700 Institutionen und Privatpersonen aus Kunst und Kultur haben die österreichische Erklärung der VIELEN unterzeichnet.
 

Protestnote #2

Verteilt an die Vorstellungsbesucher:innen ab dem 15.03.2025

WACH BLEIBEN.
HANDELN.
SOLIDARISIEREN.


In der Steiermark hat die FPÖ das Kulturbudget massiv gekürzt, Förderungen gestrichen und das beratende Kulturkuratorium mit parteinahen Personen besetzt. Was in der Steiermark passiert, ist ein Angriff auf die Freiheit der Kunst – und ein Testlauf für ganz Österreich. Was in Graz beginnt, wird morgen Linz, Salzburg, Innsbruck und Bregenz erreichen. Rechter Kulturabbau passiert nicht über Nacht, er passiert Stück für Stück, Region für Region. Wer heute schweigt, dem wird morgen die Bühne genommen.

Das betrifft nicht nur Künstler:innen, sondern alle. Denn Kunstfreiheit bedeutet nicht nur das Recht, sich auszudrücken, sondern auch das Recht auf kulturelle Teilhabe. Ein Angriff auf die Kultur ist ein Angriff auf die Freiheit aller. Auf unsere Möglichkeit, neue Perspektiven zu erleben, uns kritisch mit der Welt auseinanderzusetzen und offene Räume jenseits politischer Engstirnigkeit zu erhalten.

Das Schauspielhaus Wien stellt sich gegen diese Angriffe. Wir fordern eine freie, faire und vielfältige Kulturlandschaft. Wir fordern: Keine parteipolitische Kontrolle über Kunst und Kultur! Keine Kürzungen! Keine rechten Kulturkämpfe auf unserem Rücken! Es ist Zeit, sich zu informieren, zu widersprechen und sich zu wehren. Die Kunst ist frei, wenn wir sie verteidigen.


Weiterführender Link zum Offenen Brief der IG Freie Theaterarbeit zur Situation in der Steiermark


Rede zur Kundgebung „Kunst und Kultur und viele offene Fragen: Perspektiven für die nächste Regierung“

Von Felix Rotkehl, Ko-Leitung Offenes^Haus. Gehalten am 20.02.2025 am Ballhausplatz in Wien. Die Kundgebung wurde organisiert vom Do.3-Kollektiv.

 
Guten Abend! Danke für die Möglichkeit, hier zu sprechen! Ich heiße Felix Rotkehl, bin in Ostdeutschland aufgewachsen und lebe seit 2019 in Wien. Und ich bin Kulturvermittler am Schauspielhaus. Meine Aufgabe sehe ich darin, Menschen Möglichkeiten zur künstlerischen Teilhabe zu bieten. Aber viel mehr noch: Zum Mitmachen, zum aktiven Mitgestalten. Zum Teil-Sein!

Mein eigener Zugang zu Kunst und Theater, wäre nicht denkbar gewesen ohne die Bürger:innenbühne Dresden – diese bahnbrechende Idee, Menschen aus allen gesellschaftlichen Gruppen und Generationen mitten hinein zu holen ins Staatstheater, in die Institution. Sie sichtbar zu machen. Und ihnen durch diese Sichtbarkeit auch ihre Selbstwirksamkeit zu vermitteln. Meine Berufspraxis ist bis heute geprägt von dieser Erfahrung. Die Sphären des gesellschaftlichen Lebens und der Kultur eben nicht zu trennen. Nicht die Gesellschaft zu spalten in die „Kulturverliebten“ auf der einen Seite und die „breite Masse“ auf der anderen.

Denn Kulturarbeit ist die Aushandlung unserer Werte, unsere Wertschätzung füreinander, auch unsere Neugier auf das Unbekannte. Diese Arbeit an der offenen Gesellschaft ist bedroht, wenn die Kultur nicht frei ist.

Eines wissen wir: Der Geist der Leitkultur, den die FPÖ und die ÖVP salonfähig gemacht hat, ist nicht mit dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen verschwunden. Dieser Geist, der „das Normale“ beschwört und gegen das vermeintlich „Andere“ positioniert, der sich ein homogenes Österreich zurücksehnt, das es so nie gegeben hat: dieser Geist ist in die Köpfe geträufelt.

Was bedeutet das für uns, die wir in unseren Theatern, Museen, Vereinen, Gruppen Räume der Offenheit, der Vielfalt und der kritischen Auseinandersetzung schaffen? Können wir uns darauf verlassen, dass die nächste Regierung die Freiheit der Kunst unangetastet lässt? Nein. Wir müssen handeln, und zwar jetzt.

Über die gescheiterten blau-schwarzen Koalitionsverhandlung dürfen wir nicht vergessen, dass die FPÖ bereits Teil von fünf Landesregierungen ist. Seit dem 18. Dezember liegt die Politik der Steiermark in den Händen des FPÖ-Landeshauptmanns Kunasek. Dort wurde das Kulturbudget aufgeteilt. Es gibt nun zwei Töpfe: Es gibt „Volkskultur“ und es gibt „Hochkultur“ – ein fragwürdiges Schubladensystem. Und das Ergebnis? Es wird gekürzt. Dem Dramatiker:innenfestival Graz wurden bereits 57% der finanziellen Mittel gestrichen.

Wer heute schweigt, dem wird morgen die Bühne genommen.
Denn dass Kunst und Kultur die Gesellschaft prägen, ist eben nicht nur ein linker Wunschtraum. Nein, die Rechtskonservativen und Rechtsextremen sehen es ganz genau so! Wenn wir nicht aufpassen, wird Kultur zu einem Instrument in den Händen jener, die sie missbrauchen wollen.

Künstlerische Freiheit hat Verfassungsrang in Österreich. Das bedeutet nicht nur das Recht auf freien Ausdruck, sondern auch das Recht auf kulturelle Teilhabe. Wer heute die Freiheit der Kunst verteidigt, verteidigt die Rechte aller Menschen. Die Kunstfreiheit anzutasten, sie ihrer Mittel zu berauben, bedeutet, grundlegende Menschenrechte anzugreifen.

Doch wir können etwas tun. Wir können handeln:
Kulturinstitutionen, große wie kleine, Kulturarbeiter:innen müssen sich klar positionieren. Wir brauchen entschlossene Solidarität. Wir brauchen Schulterschlüsse über Wien hinaus zu unseren Kolleg:innen in die Bundesländer.
Kunst und Kultur findet nicht nur in geschlossenen Räumen statt. Sie lebt auf den Straßen, auf den Plätzen, in den Parks, in den Opernhäusern und den Stadien. Wir sind kein Elfenbeinturm! Die Kunst, das sind die Geschichten, die diese Gesellschaft zusammenhalten. Das sind die Vielen: alle, die erleben können, dass Kultur von allen für alle gemacht wird, so wie ich es damals an der Bürger:innenbühne Dresden erlebt habe. Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen auseinanderdividiert werden. Dass Vielfalt und Offenheit diffamiert und dass Kulturarbeiter:innen als traumtänzerische Gutmenschen abgetan werden.

Ich spreche hier auch in Vertretung von DIE VIELEN, einem politischen Zusammenschluss von Personen und Institutionen aus Kunst und Kultur. Wir finden: Wer heute die Kunst als neutral erklärt, macht sie angreifbar. Unser Ziel ist es, die Kultur in ihrer ganzen Vielfalt zu verteidigen, ihr eine Stimme zu geben und uns gegen die Kräfte zu wehren, die sie verengen und instrumentalisieren wollen. Dafür steht die goldene Rettungsdecke, die als sichtbares Zeichen die Kultur retten soll vor den Händen derer, die sie verengen wollen. Ganz gleich ob in den Institutionen, ob in den Kommunen, in den Bundesländern oder im Bund.
Schaut zu euren Kolleg:innen! Schaut euch um in den Institutionen, in den Vereinen und Gruppen! Schaut in die Bundesländer! Ich garantiere euch: Wir sind Viele!

Kunst und Kultur haben die Aufgabe, eine Zukunft zu erzählen – eine Zukunft der Vielfalt, der Freiheit und der radikalen Offenheit. Sie liegt in unseren Händen. Und wir lassen sie uns nicht nehmen! Vielen Dank!

 


Protestnote #1

Verlesen vor den Vorstellungen
am 31.01.2025 von Mirjana Mihajlović
am 01.02.2025 von Teresa Awa
am 11.02.2025 von Lilien Csomor

Guten Abend. Das Schauspielhaus Wien ist Mitglied von DIE VIELEN, einem Aktionsbündnis gegen Rechts. Angesichts der politischen Bedrohungslage in Österreich zeigen DIE VIELEN und mit ihnen das Schauspielhaus Haltung.

Deshalb wurde ich eingeladen, heute vor der Vorstellung eine Protestnote zu verlesen. Die Protestnote ist kein Teil der Inszenierung und wird ab sofort vor allen Vorstellungen im Schauspielhaus immer von unterschiedlichen Personen verlesen – solange über die Bildung einer extrem rechten Regierung verhandelt wird. 

Der folgende Text stammt von der Lehramtsstudentin Mirjana Mihajlović und ist im Rahmen eines Schreibworkshops vom Offenen^Haus hier im Schauspielhaus entstanden.

Mirjana Mihajlović
brüche

dieser tage kommt mir österreich fremd vor – oder vielleicht verfremde ich mich. alles begann mit dem auftritt der dritten person. ein drittel an sich ist schon so ambivalent: nicht ganz die hälfte, aber fast, jedenfalls mehr als ein viertel.

jede dritte person im burgenland hört täglich radio.
jede dritte person entwickelt nach covid schlafstörungen.
jede dritte person kann sich unter digitalem euro nichts vorstellen.

das problem mit 33,3 periodisch prozent ist, dass sie von außen oft nur schwer zu erkennen sind. eine barista wünscht mir freundlich einen guten morgen. wer weiß, in welchen dritteln sie sich herumtreibt?

jede dritte person wünscht sich einen starken mann an der spitze.
jede dritte person in österreich will nicht neben muslim:innen leben.
jede dritte person in österreich ist „latent antisemitisch“.

sie fragt, ob ich kakaopulver auf meinen cappuccino möchte. ich nicke und denke mir, so eine nette gehört vermutlich eher zu einem arschkarten-drittel.

jede dritte frau erlebt im laufe ihres lebens gewalt.
jede dritte person in wien durfte heuer nicht wählen.
jede dritte jüdische person erwägt, österreich zu verlassen.

aber irgendwo müssen sie doch versteckt sein. theoretisch müsste ich ihnen jeden tag mehrmals begegnen, es sei denn, dass drittel lebt irgendwo hochkonzentriert, in niederösterreich vielleicht? nein, die müssen auch in wien unterwegs sein. ein drittel, das kommt mir dieser tage doch schrecklich viel vor.

jede dritte wählende person in österreich ließ sich von fremdenhass nicht abschrecken.
jede dritte wählende person in österreich sah in nazi-ideologie keinen ausschlussgrund.
jede dritte wählende person in österreich nahm einen neo-faschistischen „volkskanzler“ in kauf.

ein schlimmer gedanke drängt sich mir in letzter zeit auf: dass ich das drittel sehr wohl kenne, dass es genau die menschen in meinem leben sind, bei denen ich mich nicht zu fragen traue. jede dritte person – das ist so unglaublich viel, das ist ja fast jeder, das sind ja so gut wie alle.

die person, die mit ihrem auto stehenbleibt, damit ich die straße queren kann.
die mir morgens einen cappuccino mit kakaopulver zubereitet.
die neben mir im schäbigen, überteuerten altbau wohnt.
die mit mir in den kindergarten gegangen ist.
die mich an der universität unterrichtet.
die ich an der schule unterrichte.
die mich großgezogen hat.
die mich liebt und
die ich liebe.



eins durch drei. mathe ist so grässlich abstrakt, aber leider steckt doch was dahinter. vielleicht liegt die lösung darin, mich auf die suche nach dem drittel in meinem leben zu machen, und dann ins viertel, ins siebtel, ins tausendstel zu gehen. bruch für bruch entfremden.